Donnerstag, 28. März 2019

Rechte Achtsamkeit

Rechte Achtsamkeit ist ebenfalls ein Teil des Achtfachen Weges, der zur Gruppe der meditativen Sammlung gezählt wird. In Digha Nikaya 22 sagt der Erwachte darüber:
"Was, ist rechte Achtsamkeit? Da weilt jemand beim Körper in Betrachtung des Körpers, eifrig, klarbewusst, achtsam, nachdem er Zuneigung und Abneigung hinsichtlich der Welt hinter sich gelassen hat. Da weilt jemand bei den Gefühlsstimmungen in Betrachtung der Gefühlsstimmungen, eifrig, klarbewusst, achtsam, nachdem er Zuneigung und Abneigung hinsichtlich der Welt hinter sich gelassen hat. Da weilt der Mönch bei der Gemütsverfassung in Betrachtung der Gemütsverfassung, eifrig, klarbewusst, achtsam, nachdem er Zuneigung und Abneigung hinsichtlich der Welt hinter sich gelassen hat. Da weilt jemand bei den Geistesobjekten in Betrachtung der Geistesobjekte, eifrig, klarbewusst, achtsam, nachdem er Zuneigung und Abneigung hinsichtlich der Welt hinter sich gelassen hat."
Die hier angeführten vier Betrachtungen sind als die 'vier Eckpfeiler der Achtsamkeit' (satipatthana) bekannt und stellen das eigentliche in Digha Nikaya 22 ausführlich besprochene Thema der Meditation dar.

Eine häufig übersehene Vorbedingung, die der Erwachte hier nennt, verbirgt sich in der Formulierung 'nachdem er Zuneigung und Abneigung hinsichtlich der Welt hinter sich gelassen hat'. Sie bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt während der Meditation die sog. fünf Hemmnisse außer Kraft gesetzt sind. Erst wenn diese Vorbedingung erfüllt ist, kann man im eigentlichen Sinne von satipatthana sprechen.

Siehe auch:
Der Achtfache Weg

Sonntag, 10. Februar 2019

Rechte Anstrengung

Der sechste Teil des Achtfachen Weges, Rechte Anstrengung, ist der erste, der zur Gruppe 'meditative Sammlung' gezählt wird. Der Erwachte sagt darüber in Digha Nikaya 22:
"Was ist rechte Anstrengung? Da fasst jemand den Willen, üble, unheilsame Dinge, die noch nicht aufgestiegen sind, nicht aufsteigen zu lassen, strengt sich dafür an, bemüht sich darum, richtet das Gemüt darauf, strebt danach. Er fasst den Willen, üble, unheilsame Dinge, die bereits aufgestiegen sind, zu vertreiben, strengt sich dafür an, bemüht sich darum, richtet das Gemüt darauf, strebt danach. Er fasst den Willen, heilsame Dinge, die noch nicht aufgestiegen sind, aufsteigen zu lassen, strengt sich dafür an, bemüht sich darum, richtet das Gemüt darauf, strebt danach. Er fasst den Willen, heilsame Dinge, die bereits aufgestiegen sind, zu festigen, unverlierbar zu machen, zu mehren, wachsen zu lassen, bis zur Vollkommenheit zu entwickeln, strengt sich dafür an, bemüht sich darum, richtet das Gemüt darauf, strebt danach. Das wird rechte Anstrengung genannt."
Diese Passage lässt erkennen, dass es sich bei der Meditation nicht einfach um ein passives Treibenlassen ohne Ziel und Zweck handelt, sondern dass es sehr wohl darum geht, bestimmte Geisteszustände anzustreben und bestimmte andere hinter sich zu lassen. Allerdings wird man sehr bald feststellen, dass man mit der reinen Willensanstrengung nicht sehr weit kommt, weil sie den Geist eher aufwühlt als beruhigt. Es bedarf geeigneter Mittel, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und welche 'funktionieren' ist eine Sache, die sich nur in der Praxis der Meditation selbst erfahren lässt.

Es darf auch nicht verkannt werden, dass dieses Leitbild der rechten Anstrengung nicht nur auf die (formale) Meditation Anwendung findet, sondern im Grunde genommen auf jede Situation in unserem Leben.

Siehe auch:
Der Achtfache Weg

Sonntag, 3. Februar 2019

Rechter Lebensunterhalt

Der Erwachte sagt hier summarisch einfach (Digha Nikaya 22):

"Was ist rechter Lebensunterhalt? Der Nachfolger gibt den falschen Lebensunterhalt auf, durch rechten Lebensunterhalt führt er sein Leben."
Was als 'falscher Lebensunterhalt' anzusehen ist unterscheidet sich zwischen Mönch und Laienanhänger bedeutend. Für Mönche gelten aufgrund ihrer Stellung viel mehr und auch andere Regeln als für die Laienanhänger. Man findet sie z.B. in Digha Nikaya 2. Für Laienanhänger identifiziert der Erwachte in Anguttara Nikaya 5,177 fünf Felder die zu vermeiden sind:
"Fünf Arten des Handels sollte der Laienanhänger nicht ausüben. Welche fünf?
  • Handel mit Waffen, 
  • Handel mit Lebewesen, 
  • Handel mit Fleisch, 
  • Handel mit Rauschmitteln und 
  • Handel mit Giften."
Hierbei sind auch Berufe eingeschlossen, die mittelbar den genannten Berufsfeldern zuarbeiten, wie z.B. die Aufzucht von Tieren zum Zwecke des Schlachtens, auch wenn man selbst nicht direkt mit Fleisch handeln würde.

Donnerstag, 31. Januar 2019

Rechtes Handeln

Rechtes Handeln ist ein weiterer Teil des Der Achtfachen Weges, der unter 'Tugend' (taugliches Verhalten) zusammengefasst wird.

In Digha Nikaya 22 gibt der Erwachte eine kurzen Überblick:

"Was ist rechtes Handeln? Das Töten von Lebewesen vermeiden, Nichtgegebenes zu nehmen vermeiden, sexuelles Fehlverhalten vermeiden."

In Anguttara Nikaya 10, 176 führt er näher aus, was das unrechte Verhalten ist, das es zu lassen gilt:
(1) Da bringt einer Lebendes um, ist grausam, befleckt seine Hände mit Blut, begeht Mord und Totschlag, ist ohne Mitgefühl für irgendwelche Lebewesen.
(2) Nichtgegebenes nimmt er; was ein anderer im Dorfe oder Walde an Hab und Gut besitzt, dieses ihm nicht Gegebene eignet er sich in diebischer Absicht an.
(3) Er führt einen unrechten Wandel in sexueller Hinsicht; er vergeht sich gegen Mädchen, die unter der Obhut von Vater, Mutter, Bruder, Schwester oder Verwandten stehen, gegen Mädchen, die unter dem Schutze der Religionsgemeinschaft stehen, die einem Gatten versprochen wurden, die öffentlich Anverlobten, bis zu den durch Überwurf eines Blumenkranzes Anverlobten.
Von diesen bedürfen Punkt (1) und (2) keiner näheren Erläuterung. Punkt (3) ist abhängig von den damaligen Sitten und Gebräuchen formuliert. Seiner Absicht nach bezweckt dieser Punkt aber offensichtlich, sich nicht sexuell mit Partnern einzulassen, die aus irgendwelchen Gründen schutzbedürftig oder mit einem anderen Partner liiert sind, und ist in dieser Form auch auf die heutigen Verhältnisse übertragbar..

Siehe auch:
Der Achtfache Weg

Dienstag, 29. Januar 2019

Rechte Rede

Rechte Rede ist der erste der drei Teile des Achtfachen Weges, die unter dem Begriff 'Tugend' (taugliches Verhalten) zusammengefasst werden. In Digha Nikaya 22 gibt der Erwachte einen summarischen Überblick:
"Was ist rechte Rede? Lüge vermeiden, Hintertragen vermeiden, Beleidigungen vermeiden, sinnloses Geschwätz vermeiden."
In Anguttara Nikaya 10, 176 führt er näher aus, was es zu vermeiden gilt:
"(1) Da ist einer ein Lügner. Befindet er sich in einer Gemeinde- oder sonstigen Versammlung, unter Verwandten, in der Gilde, oder vor Gericht und wird als Zeuge befragt: 'Komm, lieber Mann, sage aus, was du weißt!', so sagt er, obwohl er nichts weiß: 'Ich weiß es', oder er sagt, obwohl er es weiß:  'Ich weiß es nicht'. Obwohl er nichts gesehen hat, sagt er 'Ich habe es gesehen', oder er sagt, obwohl er etwas gesehen hat: 'Ich habe es nicht gesehen'. So spricht er um seinetwillen oder um eines anderen willen oder um irgendeines sonstigen Vorteils willen eine bewußte Lüge.
(2) Er ist ein Zwischenträger: was er hier gehört hat, erzählt er dort wieder, um jene zu entzweien; und was er dort gehört hat, erzählt er hier wieder, um diese zu entzweien. So entzweit er die Einträchtigen, hetzt die Entzweiten auf, findet Freude, Lust und Gefallen an Zwietracht, und Zwietracht fördernde Worte spricht er.
(3) Er bedient sich roher Worte; Worte, die scharf sind, hart und verletzend, die von Verwünschungen und Gehässigkeiten erfüllt sind und nicht zur Sammlung des Geistes beitragen: solcher Worte bedient er sich.
(4) Er ist ein Schwätzer, redet zur Unzeit, unsachlich, zwecklos, nicht förderlich in Bezug auf Lehre und Übung; er führt Reden, die wertlos sind, unangebracht, ungebildet, unangemessen und sinnlos."
Siehe auch:
Der Achtfache Weg

Rechte Absicht

Über die Rechte Absicht sagt der Erwachte in Digha Nikaya 22, sie sei von dreierlei Art:
Was ist rechte Absicht? Die Absicht loszulassen, die Absicht nicht böswillig zu sein, die Absicht nicht schaden zu wollen.
Es sind diese drei guten innerlichen Antriebe, die den nach außen sichtbaren tauglichen Handlungen des Achtfachen Pfades (Rechte Rede, Rechtes Handeln, Rechter Lebenserwerb) sowie der Meditation (Rechte Anstrengung, Rechte Achtsamkeit, Rechte Sammlung) als Motivation zugrunde liegen.

Sonntag, 27. Januar 2019

Rechte Ansicht

In der Lehrrede Digha Nikaya 22 gibt der Erwachte unter anderem auch Erklärungen zu den einzelnen Teilen des Achtfachen Weges. Die Erklärung zum Faktor Rechte Ansicht lautet:

"Was ist Rechte Ansicht? Leiden kennen, das Entstehen von Leiden kennen, die Beendigung von Leiden kennen, die Vorgehensweise, die zur Beendigung von Leiden führt, kennen. Das wird als Rechte Ansicht bezeichnet."

Das bedeutet also, die vier Edlen Wahrheiten zu kennen, ist Rechte Ansicht. Genau so wie der Achtfache Weg in Form der vierten Edlen Wahrheit Bestandteil der vier Edlen Wahrheiten ist, sind die vier Edlen Wahrheiten in Form der Rechten Ansicht Bestandteil des Achtfachen Weges. Somit sind beide Kernlehren des Erwachten eng und unlösbar miteinander verknüpft.

Der auf klare Logik pochende Mensch wird dies als eine Zirkeldefinition ansehen und deswegen ablehnen. Das hängt aber daran, dass er davon ausgeht, dass hinter den Begriffen 'die vier Edlen Wahrheiten' und 'der Achtfache Weg' immer ein und dieselbe unveränderliche Sache stehen müsse. Das ist aber in der Praxis, beim Beschreiten des Übungsweges nicht der Fall. Das Verständnis dessen, was 'die vier Edlen Wahrheiten' und 'der Achtfache Weg' bedeuten, wandelt und verfeinert sich für den Nachfolger der Lehre in dem Maße, in dem er voranschreitet, durch die Erlebnisse und Erfahrungen, die er dabei macht. Wie wir bei der summarischen Besprechung des Achtfachen Weges in Bezug auf die Weisheits-Gruppe bereits festgestellt haben, ist die Kenntnis des Neulings von den vier Edlen Wahrheiten noch unvollständig und eher theoretischer Natur. Erst durch die Praxis vertieft sich durch eigene Erfahrungen das Verständnis, und erst derjenige, der zum Ende des Weges gegangen ist, der die Befreiung vom Leiden erreicht hat, versteht die vier Edlen Wahrheiten vollständig.

Siehe auch:
Die vier Edlen Wahrheiten
Der Achtfache Weg
Die vierte Edle Wahrheit

Donnerstag, 24. Januar 2019

Der Achtfache Weg

Der Achtfache Weg stellt den Übungsweg der praktischen Umsetzung der Lehre des Erwachten dar (vierte Edle Wahrheit), mittels dessen die Beendigung von Leiden (dritte Edle Wahrheit) zu verwirklichen ist.

Er besteht aus den folgenden acht Teilen:

(1) Rechte Ansicht (samma ditthi)
(2) Rechte Absicht (samma sankappa)
(3) Rechte Rede (samma vaca)
(4) Rechtes Handeln (samma kammanta)
(5) Rechter Lebensunterhalt (samma ajiva)
(6) Rechte Anstrengung (samma vayama)
(7) Rechte Achtsamkeit (samma sati)
(8) Rechte Sammlung (samma samadhi)

Diese acht Teile des Achtfachen Weges werden traditionell in drei Gruppen unterteilt. Teil (1) und (2) werden als Weisheit bezeichnet, Teil (3), (4) und (5) sind die Gruppe der Tugend (d.h. des tauglichen Verhaltens), und Teil (6), (7) und (8) stellen die Gruppe der Sammlung (d.h. der meditativen Vertiefung) dar. Dass diese Einteilung schon vom Erwachten verwendet wurde, lässt sich u.a. an einer Textstelle in Digha Nikaya 16 (1. Kapitel) sehen, wo der Erwachte zu den Mönchen sagt:
So ist Tugend, so ist Sammlung, so ist Weisheit. Durch vollkommen gepflegte Tugend hat Sammlung ein großes Ergebnis, einen großen Nutzen. Durch vollkommen gepflegte Sammlung hat Weisheit ein großes Ergebnis, einen großen Nutzen. Durch vollkommen gepflegte Weisheit wird das Gemüt frei von schlechten Antrieben, nämlich Antrieben durch sinnliches Begehren, durch Werden, durch Ansichten, durch Unwissen.
Der Erwachte stellt hier eine bestimmte Reihenfolge dieser Gruppen her, bei dem eine aus der anderen hervorgeht, jedenfalls in der voll ausgebildeten Form. Diese Reihenfolge beginnt mit tauglichem Verhalten und endet mit Weisheit, während bei der Aufzählung der acht Teile die Weisheitsgruppe am Anfang steht. Auch bei der sog. stufenweisen Übungsanweisung (z.B. M 107) für neu ordinierte Mönche beginnt der Erwachte mit dem tauglichen Verhalten. Das hat offenbar den Grund, dass er bei neu ordinierten Mönchen davon ausgeht, dass diese die vier Edlen Wahrheiten, welche den Ausgangspunkt der Weisheit darstellen, schon kennen und zumindest verstandesmäßig schon begriffen haben, denn sonst wären sie nicht in die Hauslosigkeit gezogen. Weisheit stellt aber auch, wie die obige Textstelle zeigt, den Endpunkt des Übungsweges dar, jedoch handelt es sich dabei nicht um die noch unvollkommene anfängliche Weisheit des Neulings, sondern die ausgereifte, auf eigener Erfahrung beruhende Weisheit des zum Ende des Weges Gelangten.

Siehe auch:
Rechte Ansicht
Rechte Absicht
Rechte Rede
Rechtes Handeln
Rechter Lebensunterhalt
Rechte Anstrengung
Rechte Achtsamkeit
Die dritte Edle Wahrheit
Die vierte Edle Wahrheit
Die vier Edlen Wahrheiten

Dienstag, 22. Januar 2019

Das Dasein ist nicht bloß Leiden




Das Dasein ist nicht bloß Leiden
(Life Isn't Just Suffering)
von
Thanissaro Bhikkhu
© Nur zur unentgeltlichen Verteilung


"Er zeigte mir die Helligkeit der Welt."

So beschrieb einmal mein Lehrer, Ajaan Fuang, was er seinem eigenen Lehrer, Ajaan Lee, verdankte. Seine Worte waren eine Überraschung für mich. Erst vor kurzem war ich zu ihm gekommen, um bei ihm zu lernen, noch geprägt von einer Schule, die mir beigebracht hatte, dass ernsthafte Buddhisten die Welt mit negativem, pessimistischem Blick betrachten. Hier aber war ein Mensch, der sein ganzes Leben der praktischen Umsetzung von Buddhas Lehren gewidmet hatte, und sprach davon, wie hell doch die Welt sei. Natürlich bezog er sich mit "Helligkeit" nicht auf die Freuden der Schönen Künste, von Speisen, Reisen, Sport, Familienleben oder sonstigen Themen, die man in den Rubriken der Sonntagszeitung findet. Er sprach von einem tieferen Glück, das dem Inneren entspringt. Als ich ihn mehr und mehr kennenlernte, ging mir allmählich auf, wie tiefgehend glücklich er war. Er mag vielen menschlichen Vorspiegelungen skeptisch gegenübergestanden haben, aber ich würde ihn niemals als negativ oder pessimistisch beschreiben. "Realistisch" wäre näher an der Wahrheit. Und doch gelang es mir lange Zeit nicht, ein Gefühl des Paradoxen abzuschütteln, dass der Pessimismus der buddhistischen Texte sich in einer solch grundtief glücklichen Person verkörpert finden konnte.

Erst als ich die frühen Texte selbst direkt studierte, entdeckte ich, dass das scheinbare Paradoxon in Wahrheit eine Ironie darstellte - die Ironie dessen, wie der Buddhismus, der ein solch positives Bild von der Fähigkeit des Menschen zeichnet, das wahre Glück zu finden, im Westen als negativ oder pessimistisch abgestempelt werden konnte.

Vermutlich haben Sie davon reden hören, dass die Aussage "Das Dasein ist Leiden" das oberste Prinzip des Buddhismus darstellt, die erste Edle Wahrheit des Buddha. Dieses Gerücht hat einen guten Leumund; es wird von angesehenen Akademikern genauso verbreitet wie von buddhistischen Lehrern selbst. Gleichwohl ist es nur ein Gerücht. Die Wahrheit über die Edlen Wahrheiten ist weit interessanter. Der Buddha hat vier Wahrheiten - nicht nur eine - über das Dasein gelehrt. Es gibt Leiden, es gibt eine Ursache für das Leiden, man kann das Leiden beenden, und es gibt einen Weg der praktischen Umsetzung, mit dem man das Leiden beenden kann. Im Ganzen genommen, sind diese Wahrheiten weit davon entfernt, pessimistisch zu sein. Sie stellen ein praktisches Herangehen an die Lösung eines Problems dar - so wie ein Arzt an eine Krankheit herangeht oder ein Mechaniker an eine defekte Maschine. Man identifiziert das Problem und schaut nach, wodurch es verursacht wird. Dann beseitigt man das Problem, indem man die Ursache behebt.

Das Besondere an der Herangehensweise des Buddha ist, dass das Problem, das er anpackt, die Gesamtheit des menschlichen Leidens ist, und die Lösung, die er anbietet, kann jeder Mensch aus eigener Kraft verwirklichen. Genau wie ein Arzt, der eine sichere Kur für Masern kennt, sich nicht vor Masern fürchtet, so fürchtet sich der Buddha vor keinem Aspekt des menschlichen Leidens. Und, da er ein Glück ohne jede Vorbedingung erfahren hat, so hat er auch keine Angst davor, selbst dort auf das innewohnende Leiden und Unbehagen hinzuweisen, wo die meisten von uns es lieber nicht sehen möchten - bei den vergänglichen Freuden, an die wir uns klammern. Er lehrt uns, dieses Leiden und Unbehagen nicht zu leugnen oder vor ihm davonzurennen, sondern innezuhalten und sich damit auseinanderzusetzen, es genau zu untersuchen. Auf diese Weise - indem wir es verstehen - können wir seine Ursache ergründen und es beenden. Und zwar völlig beenden. Kann man eigentlich noch zuversichtlicher sein?

Eine Vielzahl von Autoren haben bereits auf diese grundlegende Zuversicht hingewiesen, die den vier Edlen Wahrheiten innewohnt, und dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, der Buddhismus sei pessimistisch. Ich frage mich, woher das kommt. Eine mögliche Erklärung mag sein, dass der westliche Mensch, wenn er zum ersten Mal mit dem Buddhismus in Berührung kommt, unterschwellig erwartet, dass dieser sich mit Fragen auseinandersetzt, die in unserer eigenen Kultur bereits eine lange Geschichte haben. Indem er mit dem Leiden als erster Wahrheit beginnt, scheint der Buddha seine Stellungnahme zu einer Frage mit einer langen Geschichte im Westen abzugeben: ist die Welt im Grunde gut oder schlecht?

Nach der Schöpfungsgeschichte der Bibel war dies die erste Frage, die sich Gott stellte, nachdem er seine Schöpfung vollendet hatte: hatte er seine Sache gut gemacht? Darauf schaute er sich die Welt an und sah, dass sie gut war. Seither ergreifen die Menschen im Westen Partei für oder gegen Gott mit seiner Antwort, gleichzeitig aber bestätigen sie damit, dass die Frage es wert ist, überhaupt gestellt zu werden. Als der Theravada-Buddhismus — die einzige Form des Buddhismus, der sich dem Christentum entgegenstellte, als Europa Asien kolonisierte — nach Möglichkeiten suchte, um das abzuwehren, was er als missionarische Bedrohung ansah, betrachteten Buddhisten, die Unterricht von den Missionaren erhalten hatten, die Frage als rechtmäßig und funktionierten die erste Edle Wahrheit zur Widerlegung des christlichen Gottes um: schaut wie elend das Dasein doch ist, sagten sie, Gottes Urteilsspruch über sein Werk ist wohl kaum haltbar.

Diese Argumentationsstrategie mag damals für ein paar Punkte gut gewesen sein, und man findet leicht buddhistische Apologeten, die — immer noch in der kolonialen Vergangenheit lebend — versuchen, auf die gleiche Art zu punkten. Tatsächlich geht es allerdings darum, ob der Buddha mit seiner ersten Edlen Wahrheit überhaupt die Absicht hatte, jene Frage Gottes zu beantworten, und — noch wichtiger — ob wir den besten Nutzen aus der ersten Edlen Wahrheit ziehen, wenn wir sie in diesem Licht betrachten.

Es ist schwer vorstellbar, was mit der Behauptung, das Dasein sei Leiden, überhaupt zu erreichen wäre. Man müsste seine ganze Zeit darauf verwenden, sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die im Dasein mehr sehen als nur Leiden. Das sagt selbst der Buddha in einer seiner Reden. Ein Brahmane namens Langnagel (Dighanakha) sucht ihn auf und verkündet seine Ansicht, dass er nichts als billigenswert ansähe. Das wäre der perfekte Augenblick für den Buddha gewesen, wenn er das gewollt hätte, mit der Wahrheit, dass Leben eben Leiden sei, in das gleiche Horn zu stoßen. Stattdessen greift er die Vorstellung als solches an, in der Frage, ob das Dasein billigenswert sei, eine Stellung zu beziehen. Es gäbe drei mögliche Antworten auf diese Frage, sagt er: (1) nichts ist billigenswert, (2) alles ist es, und (3) einige Dinge sind es, andere nicht. Nähme man einen von diesen drei Standpunkten ein, so geräte man unweigerlich in Streit mit den Leuten, die einen der anderen Standpunkte verträten. Und was hätte man damit gewonnen?

Daraufhin lehrt der Buddha den Brahmanen Langnagel, seinen Körper und seine Empfindungen als Beispiele für die erste Edle Wahrheit aufzufassen: sie sind leidbehaftet, unbeständig und verdienen es nicht, dass man an ihnen als einem Selbst hängt. Langnagel befolgt die Anweisungen des Buddha, und durch das Aufgeben seines Anhangens an Körper und Empfindungen erhält er einen ersten Blick auf das Todlose, wie es ist, wenn man völlig frei von Leiden ist.

Diese Geschichte lehrt, dass der Versuch, Gottes Frage zu beantworten, ein Urteil über die Welt zu fällen, verschwendete Zeit ist. Und sie zeigt, wie man besser mit der ersten Edlen Wahrheit umgeht: indem man Dinge nicht als "Welt" oder "Dasein" betrachtet, sondern sie untersucht, um Leidvolles zu identifizieren, damit man es verstehen und loslassen lernt und dadurch Befreiung erlangt. Anstatt von uns ein generelles Urteil zu verlangen — was tatsächlich hieße, uns zu blinden Mitläufern degradieren zu wollen — fordert uns die erste Edle Wahrheit auf, genau zu schauen und zu erkennen, worin das Leidensproblem besteht.

Andere Reden zeigen, dass nicht der Körper und die Empfindungen an sich das Problem sind. Nicht sie selbst sind das Leiden. Das Leiden liegt darin, dass wir sie festhalten. Bei seiner Definition der ersten Edlen Wahrheit, fasst der Buddha alle Arten von Leiden summarisch mit dem Ausdruck "die fünf Gruppen des Festhaltens" zusammen: Festhalten an physischer Form (einschließlich des Körpers), Empfindungen, Wahrnehmungen, Gedankengebilden und Bewußtseinsakten. Wenn die fünf Gruppen dagegen frei von Festhalten sind, so sagt er uns, dann führen sie zu langfristigem Wohl und Glück.

Einfach gesagt, bedeutet also die erste Edle Wahrheit, dass Festhalten Leiden ist. Durch Festhalten wird aus körperlichem Schmerz geistiger Schmerz. Wegen des Festhaltens verursachen Altern, Krankheit und Tod geistige Beklemmung. Das Paradoxe hierbei ist ja, dass wir dadurch, dass wir uns an die Dinge klammern, sie nicht etwa einfangen oder unter unsere Kontrolle bringen. Stattdessen nehmen wir uns selber gefangen. Wenn wir unsere Gefangenschaft bemerken, suchen wir natürlich nach einem Ausweg. Und an dieser Stelle ist es so wichtig, dass die erste Edle Wahrheit nicht lautet "das Dasein ist Leiden". Wenn das Dasein an sich schon Leiden wäre, wo sollten wir dann nach einem Ende des Leidens suchen? Uns bliebe nichts als Tod und Vernichtung. Wenn aber wirklich das Festhalten das Leiden darstellt, dann brauchen wir nur das Festhalten zu untersuchen und seine Ursachen zu beseitigen.

Dieser Vorgang benötigt allerdings Zeit, denn wir können dem Geist nicht einfach sagen, er solle mit dem Festhalten aufhören. Er ist wie ein unfolgsames Kind: wenn man ihn zwingen will, loszulassen, während man ihm dabei zuschaut, dann sucht er sich einen blinden Fleck, wo man ihn nicht sieht, und fängt an, sich dort festzuklammern. Tatsächlich ist der große blinde Fleck des Geistes - Unwissen - die Hauptursache für das Entstehen der unmittelbaren Ursache des Festhaltens: Verlangen. Daher empfiehlt der Buddha als vierte Edle Wahrheit einen Übungsweg zur Entfernung des blinden Flecks. Der Weg besteht aus acht Teilen: rechte Ansicht, rechtes Beabsichtigen, rechte Rede, rechtes Handeln, rechte Lebensführung, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. In verkürzter Form spricht der Buddha vom Übungsweg als "Loslassen und Entwickeln": Handlungen loslassen, welche der Erkenntnis im Wege stehen, und Eigenschaften entwickeln, welche deren Klarheit und Umfang erweitern.

Das Loslassen — also sich zurückhalten von untauglichen Gedanken, Worten und Taten aus Begierde — ist offensichtlich ein Gegenmittel gegen das Festhalten. Das Entwickeln jedoch spielt eine paradoxere Rolle, denn man muss an den tauglichen Eigenschaften der Achtsamkeit, der Sammlung und des Einsichtsvermögens, welche bewusstes Wahrnehmen heranwachsen lassen, zunächst festhalten, bis sie voll ausgereift sind. Erst dann kann man sie loslassen. Es ist, wie wenn man eine Leiter zum Dach hochklettert: Man ergreift eine höher gelegene Sprosse, dann kann man eine niedriger gelegene loslassen, und dann ergreift man wieder eine noch höher gelegene Sprosse, und so weiter. In dem Maße, in dem die Sprossen sich immer weiter vom Boden entfernen, erweitert sich das Blickfeld, und man kann genau erkennen, wo der Geist sich überall festhält. Man entwickelt ein feineres Gespür dafür, welche Teile des Erlebten zu welcher Edlen Wahrheit gehören und was jeweils damit anzufangen ist: die Teile, die Leiden darstellen, sollen verstanden werden, die Teile, die Leiden verursachen, sollen aufgegeben werden, die Teile, die zum Übungsweg gehören, der zur Leidensbeendigung führt, sollen weiterentwickelt werden, und die Teile, die zur Leidensbeendigung gehören, sollen verwirklicht werden. Mit dieser Hilfe kommt man allmählich höher und höher auf der Leiter, bis man endlich sicher auf dem Dach steht. Das ist der Augenblick, wo man schließlich auch die Leiter loslassen kann, um völlig frei zu sein.

Die Frage, mit der wir also wirklich konfrontiert sind, ist nicht Gottes Frage, ein Urteil darüber zu fällen, wie geschickt er bei der Schöpfung des Daseins oder der Welt war. Es ist unsere Frage: wie geschickt gehen wir mit dem Rohstoff "Dasein" um? Halten wir uns derart fest, dass sich der Leidenskreislauf fortsetzt, oder lernen wir es allmählich, uns an die den Sprossen vergleichbaren Eigenschaften zu halten, die zur Beseitigung von Begehren und Unwissen führen, so dass wir uns weiterentwickeln können und letztlich an nichts mehr festzuhalten brauchen. Wenn wir dem Dasein mit allen vier Edlen Wahrheiten gegenübertreten, in dem Wissen, dass im Dasein sowohl Leiden als auch ein Ende des Leidens zu finden ist, dann gibt es Hoffnung: Hoffnung, dass es uns gelingen wird, zu lernen, welche Teile des Daseins zu welcher Edlen Wahrheit gehören; Hoffnung, dass wir eines Tages, in diesem Leben, die Helligkeit dort entdecken werden, wo wir dem Buddha zustimmen können: "Oh ja. Das ist das Ende von Leiden und Unbehagen."


Siehe auch:
Die vier Edlen Wahrheiten
Was ist Leiden?
Die Ursache von Leiden ist Verlangen


© Nur zur unentgeltlichen Verteilung
Quelle des Originals:
Bhikkhu, Thanissaro. “Life Isn't Just Suffering” The Karma of Questions, dhammatalks.org. Retrieved from
https://www.dhammatalks.org/books/KarmaOfQuestions/Section0004.html. Accessed 22 Jan 2019.
Nutzungslizenz des Originals: Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 Unported License
To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/.
Diese Übersetzung unterliegt der gleichen Nutzungslizenz.
Übersetzt von Lothar Schenk.

Sonntag, 20. Januar 2019

Die Ursache von Leiden ist Verlangen

In dem folgenden Lehrredenausschnitt (Samyutta Nikaya 42,11) macht der Erwachte dem Ortsvorsteher Bhadragako anhand von dessen eigenen Erfahrungen klar, dass es nicht die äußeren Dinge als solche sind, die Leiden verursachen, sondern dass unser Verlangen gegenüber den Dingen der entscheidende Faktor ist. Dass es hier heißt "Verlangen (chando) ist die Ursache von Leiden", während es in der zweiten Edlen Wahrheit heißt "Der Durst (tanha) ist die Ursache von Leiden" ist kein Widerspruch, denn diese beiden Begriffe, Durst und Verlangen, sind als synonym anzusehen.

"Was meinst du, Vorsteher, gibt es in Uruvelakappa Menschen, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande dir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde?"
"Es gibt, o Herr, in Uruvelakappa Menschen, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde."
"Gibt es aber in Uruvelakappa auch Menschen, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande dir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde?"
"Es gibt in Uruvelakappa auch Menschen, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde."
"Was ist nun, Vorsteher, der Grund, daß Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande einiger Menschen dir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde, und daß Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande anderer Menschen dir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram oder Verzweiflung bereiten würde?"
"Zu den Menschen,  deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung bereiten würde, habe ich leidenschaftliches Verlangen. Zu den Menschen, deren Tod oder Gefangennahme, Schaden oder Schande mir nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram oder Verzweiflung bereiten würde, habe ich kein  leidenschaftliches Verlangen."
"Du sagst, 'Zu diesen habe ich kein leidenschaftliches Verlangen'. Dann ziehe von diesen gesehenen und gemerkten, zeitlos eingesehenen und erfaßten Dingen den Schluß auf Vergangenheit und Zukunft: Was auch in vergangenen Zeiten an Leiden sich entwickelt hat, alles das wurzelte im Verlangen, entstammte dem Verlangen. Und was auch in künftigen Zeiten an Leiden sich entwickeln wird, alles das wurzelt im Verlangen, entstammt dem Verlangen. Denn Verlangen ist die Wurzel des Leidens".
"Erstaunlich, außerordentlich, wie trefflich der Erhabene gesagt hat: 'Was auch an Leiden sich entwickelt, alles das wurzelt im Verlangen, entstammt aus dem Verlangen, denn Verlangen ist die Wurzel des Leidens'.

Siehe auch:
Die zweite Edle Wahrheit

Die vierte Edle Wahrheit

Die vierte Edle Wahrheit lautet:

"Es gibt eine Vorgehensweise, die zur Beendigung von Leiden führt, und zwar der 'Achtfache Weg' bestehend aus 'Rechter Ansicht', 'Rechter Absicht', 'Rechter Rede', 'Rechtem Handeln', 'Rechtem Lebensunterhalt', 'Rechter Anstrengung', 'Rechter Achtsamkeit' und 'Rechter Sammlung'."

Während in den ersten drei Edlen Wahrheiten das Leiden, seine Ursache und seine Beseitigung allgemein - theoretisch - besprochen wurden, geht es hier um die praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse im eigenen Leben durch eine Handlungsweise, die der Erwachte den Achtfachen Weg nennt. Dieser achtfache Weg enthält konkrete Handlungsanweisungen auf den acht genannten Feldern, die es erlauben, Leiden zu beenden, indem man diesem vom Erwachten vorgegebenen Weg folgt.

Die acht Teile dieses Achtfachen Weges werden im Einzelnen noch zu besprechen sein.

Siehe auch:
Die vier Edlen Wahrheiten
Der Achtfache Weg
Rechte Ansicht
Rechte Absicht
Rechte Rede
Rechtes Handeln
Rechter Lebensunterhalt
Rechte Anstrengung

Dienstag, 15. Januar 2019

Die dritte Edle Wahrheit

Die dritte Edle Wahrheit lautet in der Kurzform:

"Es gibt die Beendigung von Leiden".

Aus der Feststellung in der zweiten Edlen Wahrheit, dass Durst (Verlangen) die Ursache von Leiden sei, folgt logischerweise, dass durch Beseitigen des Durstes Leiden beendet werden kann:

"Und das ist die edle Wahrheit von der Leidensbeendigung: Es ist eben dieses Durstes restloses Aufgeben, seine Beendigung, von ihm zurücktreten, ihn loslassen, sich von ihm lösen, nicht mehr an ihm haften."

Siehe auch:
Die zweite Edle Wahrheit
Die vier Edlen Wahrheiten

Samstag, 12. Januar 2019

Die zweite Edle Wahrheit

Die zweite Edle Wahrheit des Erwachten befasst sich mit der Entstehung von Leiden.

In der Kurzform der vier Edlen Wahrheiten lautet sie einfach:

"Es gibt das Entstehen von Leiden."

Diese zweite Edle Wahrheit lenkt also den Blick auf die Ursache des Leidens. Wenn wir die Ursache von Leiden nicht kennen, können wir diese Ursache auch nicht beseitigen und sind damit Leiden ohne Gegenwehr ausgeliefert.

Der Erwachte gibt allerdings eine aus der Sicht des normalen Menschen verblüffende Antwort auf die Frage, wo Leiden herkommt, wie Leiden entsteht. Er sagt:

"Das ist die Edle Wahrheit von der Leidensursache: Es ist dieser Durst, der zu weiterem Werden führt, von leidenschaftlichem Drängen begleitet, hier und dort sich befriedigend: nämlich Durst nach sinnlichen Erlebnissen, Durst nach weiterem Werden, Durst nach Loswerden."

Während der normale Mensch glaubt, es seien die jeweiligen äußeren Umstände, die ihn leiden lassen, macht der Erwachte etwas für das Entstehen von Leiden verantwortlich, was in unserem eigenen Inneren liegt: den Durst - auf Pali tanha. tanha wird auch häufig mit Verlangen oder Begehren übersetzt. Der Erwachte wählt hier einen Begriff, der etwas bezeichnet, was wir alle aus eigener Erfahrung kennen. Jeder von uns war schon einmal durstig und hat das damit einhergehende Gefühl des Unausgefülltsein schon selbst gekostet, das drängende Gefühl, dass wir jetzt etwas brauchen, um den Durst zu stillen. Und jeder kennt auch das Gefühl der Befriedigung, wenn der Durst "gelöscht" wird.

Von diesem Durst wird hier auch noch gesagt, dass er auf dreierlei gerichtet sei: auf sinnliche Erlebnisse, auf weiteres Werden und auf Loswerden. Die beiden letzten sind etwas erklärungsbedürftig. Bhava - hier mit weiterem Werden übersetzt - erfahren wir dann, wenn uns eine Situation gefällt und wir sie gerne weiter behalten möchten. Vibhava - das Gegenteil von Bhava, hier als Loswerden übersetzt - erfahren wir dann, wenn uns eine Situation nicht gefällt und wir sie beseitigen oder loswerden möchten.

Siehe auch:
Die vier Edlen Wahrheiten
Was ist Leiden?
Die Ursache von Leiden ist Verlangen